February 27, 2020 · 6 Minuten
Überblick über den estnischen Immobilienmarkt 2020
Lesezeit: 4 Min.
Tõnu Toompark, Kinnisvarakool.ee
Insgesamt ist der estnische Wohnungsmarkt in einem sehr guten Zustand. Die statistischen Großindikatoren bewegen sich etwa im gleichen Tempo und in die gleiche Richtung. Das bedeutet, dass sich der Wohnungsmarkt seit 4-5 Jahren in einem vernünftigen Gleichgewicht befindet. Ausgewogenheit bedeutet, dass das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage so gestaltet ist, dass die Situation weder dem Käufer noch dem Verkäufer gegenüber zu vorteilhaft ausfällt.
Angesichts des Immobilienmarktes und der makroökonomischen Gegebenheiten könnte man anhand der derzeitigen Ausgewogenheit sagen, dass es keine internen Divergenzen auf dem Immobilienmarkt gibt, die ohne Schocks von außerhalb des Immobilienmarktes zu plötzlichen Bewegungen in die eine oder andere Richtung führen könnten.
Es sollte jedoch bedacht werden, dass die meisten Prognosen eine gewisse Abkühlung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes voraussagen. Es ist unwahrscheinlich, dass diese wichtigen Faktoren den Immobilienmarkt nicht in irgendeiner Weise beeinträchtigen werden.
Die Nachfrage basiert auf einem starken Arbeitsmarkt
Der Grund für das ausgewogene Gesamtbild ist ein sehr starker Arbeitsmarkt. Zur Zeit gibt es für viele Menschen Arbeit, d. h. die Beschäftigung ist nahe am Maximum. Die Durchschnittslöhne wachsen weiterhin schnell und die Kreditbedingungen sind mehr oder weniger günstig. Auf diese Weise bietet der Arbeitsmarkt eine solide Grundlage für den Immobilienmarkt.
Risiken für den Immobilienmarkt würden entstehen, wenn der Arbeitsmarkt zu bröckeln beginnt. Die heutigen makroökonomischen Prognosen verschiedener Institutionen deuten darauf hin, dass ein gewisser Anstieg der Arbeitslosigkeit und eine Verlangsamung des Lohnwachstums wahrscheinlich sind. Die makroökonomischen Indikatoren werden sich jedoch nur geringfügig verschlechtern. Das bedeutet, dass es keine plötzlichen Wendungen auf dem Immobilienmarkt geben sollte.
Die Angebotslage bleibt mäßig optimistisch
In Tallinn wurden im Jahr 2019 9.785 Transaktionen auf dem Wohnungsmarkt getätigt. Der Schwerpunkt des Wohnungsmarktes in der Hauptstadt liegt eindeutig auf neuen Entwicklungen. Rund 2.600 Transaktionen wurden mit neuen Wohnungen getätigt. Dies ist ein auffallend großes Volumen, das die allgemeineren Trends auf dem Wohnungsmarkt bestimmt. Der Wohnungsmarkt von Tallinn wiederum bestimmt die Trends für den übrigen Wohnungsmarkt in Estland.
Die Immobilienentwickler sind nicht von übermäßigem Optimismus erfüllt und die Stimmung der Bauherren ist vorsichtig. Der Wettbewerb zwischen den Anbietern ist intensiv. Gleichzeitig gibt es keinen nennenswerten Wettbewerb auf preislicher Ebene. Mit anderen Worten, das Angebot von Preisnachlässen spielt in der Marketingkommunikation der Bauträger keine große Rolle.
Die Entwickler haben den starken Wunsch, neue Projekte auf den Markt zu bringen. Die Markteinführung neuer Projekte kann wegen bürokratischer Hürden behindert werden. Bei mehrstufigen Projekten hängt der Beginn der nächsten Stufe vom Verkaufserfolg der vorhergehenden Stufen ab.
Das Volumen der neuen Entwicklungen, welche aktiv zum Verkauf stehen, ist in Kalamaja und in der Innenstadt rapide zurückgegangen. Die Zahl der Angebote in den „Hügeln“ Tallinns nimmt weiter zu, aber einigen Anzeichen zufolge hat sie ihren Höhepunkt überschritten.
Bei der Beurteilung des Wohnungsangebots kann man zu dem Schluss kommen, dass es ausreichend hoch ist. Die Höhe der aktuellen Angebote deutet nicht auf ein Überangebot und damit auf keinen signifikanten Preisdruck hin. Es besteht ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Anzahl der Angebote und den Verkäufen.
Das Preisniveau scheint zu hoch zu sein
Die Immobilienpreise haben Quartal für Quartal Rekorde erzielt. In vielerlei Hinsicht scheint die Preiskurve jedoch rasch anzusteigen, da die Verträge über dingliche Rechte (und damit die Preisstatistik) einen hohen Anteil teurerer Wohnungen in der Innenstadt und im Kalamaja-Bezirk umfassen. Das Preisniveau steigt weiter an und von einem Preisrückgang in der Hauptstadt, ihrer Umgebung oder anderswo in Estland kann keine Rede sein.
Die Käufer halten das Preisniveau jedoch für zu hoch. Glücklicherweise lässt sich dies bei ihren Kaufentscheidungen nicht erkennen. Die Meinung von zu hohen Preisen wird durch Kommentare von Marktteilnehmern genährt, die nach anomalen, vorübergehenden Preisspitzen suchen.
Der Grund für die zu hohen Preise ist unter anderem die Tatsache, dass die Käufer als erstes Neubauwohnungen in Betracht ziehen. Diese könnten in der Tat für viele zu teuer sein. Zwei Drittel des Wohnungsmarktes in Tallinn sind im sekundären Segment angesiedelt, dem preisgünstigeren Segment älterer Wohnungen.
Vergleicht man den Wertzuwachs bei gleichwertigen Vermögenswerten in den letzten 4-5 Jahren, so zeigt sich, dass er sich mehr oder weniger im gleichen Maße wie der durchschnittliche Lohnanstieg entwickelt. Somit ist die Kaufkraft des äquivalenten Vermögens ziemlich stabil geblieben. Hinter der Tatsache, dass Wohnraum als zu teuer angesehen wird, steht eine Veränderung/Verschiebung der Nachfragepräferenzen hin zu neueren und teureren Wohnungen.
Risiken warten auf uns
Die wirtschaftliche Situation in Estland ist relativ gut. Auch der Immobilienmarkt ist seit vielen Jahren im Gleichgewicht. Man kann davon ausgehen, dass er keine Spannungen aufgebaut hat, die zu plötzlichen radikalen Veränderungen führen könnten – zum Beispiel ein Preisverfall oder das Ausbleiben von Transaktionen.
Die Risikofaktoren liegen woanders, d. h. außerhalb des Immobilienmarktes und außerhalb Estlands. Die Risikofaktoren sind nicht so sehr der Immobilienmarkt, sondern die Erschütterung der estnischen Wirtschaft ganz allgemein. Zum Beispiel durch Handelskriege auf der ganzen Welt, eine weiterhin anomale Zinspolitik, das Coronavirus, eine terroristische Bedrohung, eine allgemeine Abkühlung der europäischen Wirtschaft usw.
Um auf den estnischen Immobilienmarkt zurückzukommen: es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie sich diese Risikofaktoren auf das Rückgrat des heutigen aktiven Wohnungsmarktes, den Arbeitsmarkt, auswirken könnten.
Es sind keine düsteren Wolken am Himmel zu sehen
Unter der Annahme, dass die Wirtschaftsprognosen der öffentlichen Institutionen und Geschäftsbanken mehr oder weniger genau sind, sind die Aussichten für den Immobilienmarkt positiv. Eine gewisse Abkühlung der Wirtschaft könnte sich auf die Zahl der Wohnimmobilientransaktionen auswirken. Es gibt keinen Grund, einen signifikanten Rückgang zu erwarten, aber 5 % des deutlich über dem historischen Durchschnitt liegenden Niveaus wären nicht schlecht.
Die Preisprognosen sind ebenfalls positiv. Die starke Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt dürfte anhalten, auch wenn die Beschäftigung leicht zurückgegangen ist und sich das Lohnwachstum etwas verlangsamt hat. Ein vernünftiger Anstieg der Wohnungspreise in Tallinn und anderen wichtigen Anziehungspunkten könnte sich im Bereich von 3-5 % bewegen: irgendwo zwischen dem Verbraucherpreisindex und dem Lohnwachstum.
Dies würde bedeuten, dass der Wert der Vermögenswerte steigt aber die Transaktionspreise nicht über die Kaufkraft der Käufer hinausgehen. Mit anderen Worten, die Prognose zeigt eine weiterhin starke Kaufkraft. Die Vorhersage einer weiterhin geringen Preissteigerung bedeutet auch, dass die Hauskäufer in den meisten Fällen nicht befürchten müssen, dass die von ihnen gekauften Vermögenswerte an Wert verlieren.
Abseits der größeren Anziehungspunkte können wir eine viel höhere Preissteigerungsrate feststellen, die sogar bis zu zehn Prozent betragen kann. Dort kommt jedoch der niedrige Ausgangswert der Immobilien ins Spiel, der trotz des Preisanstiegs deutlich unter dem Baupreis bleibt.
Es gibt immer noch einen Markt für die Entwicklung von Wohnraum in größeren Ballungszentren. Die Käufer bevorzugen günstigere neue Wohnungen, welche durch die laufenden und kommenden Bauvorhaben immer mehr Menschen zur Verfügung stehen. Außerhalb der zwei oder drei großen Ballungszentren geschieht die Entwicklung zufällig und es werden dort hauptsächlich Einfamilienhäuser zur Eigennutzung gebaut.